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Sinnliches "Requiem" im FFT
"Strategien der berschreitung" nennt das FFT eine neue Auffhrungsreihe, die "radikal andere, sthetische Erfahrung ins Spiel" zu bringen versucht, ohne Bekanntes blo schick oder sentimental zu garnieren oder zu zerschnipseln. Den Anfang machte die Schweizer Gruppe Velma mit "Requiem" und bewies, dass eine zeitgenssische Bhnenperformance mit Musik tatschlich aufregend sein kann, intelligent und sinnlich. Ein Requiem hat die berschreitung natrlicherweise zum Inhalt, doch ob die fnf Darsteller-Musiker im 70er-Jahre-Look den grten aller bergnge, vom Leben zum Tod, irgendwie begreiflich machen wrden, bezweifelte man zunchst angesichts des Musikstudio-Ambientes auf der Bhne. Kabel, kleine Wnde, elektronische Instrumente, ein Kastenzimmer mit Fenster, darin eine Frau mit strenger Frisur und Brille. Als sitze man selbst hinter Glas, ist lange Zeit wenig zu hren: das fast tonlose Zirpen von E-Gitarre-Saiten ohne Verstrkung und ein leiser Gesang endlos langer Vokale eines weihaarigen Mannes im Chorknaben-Hemd. Wie hundert Jahre Schlaf wirkt die Szene, deren Rhythmus ganz allmhlich von einem Schlagzeug belebt wird. Versehen mit Titeln der Totenmesse auf Videoscreen, steigert sich der Sound der Band langsam; nie schwelgt er in Melodien; minimalistisch wiederholt er Sekundschritte und Akkorde und erzeugt hypnotisch gleichmige Rhythmen. Der Zuschauer und -hrer fhlt die Distanz schwinden und wird mitgezogen; die sprlichen Bhnenaktionen drngen sich nie vor. Der lateinische Text, gesungen, geflstert, in Silben zerstoen, ist kaum verstndlich, als stamme er aus weiter Ferne. Ein Schrei wandelt sich zum E-Gitarren-Ton, kurz vorm "Dies Irae", und leitet den Hhepunkt dieses groartigen "Requiems" ein, das nun zum Brausen und Hmmern, zur klanglichen Erschtterung wird. Sie schwillt ab, dann wieder auf, die Wiederholung aller gehrten Sequenzen klingt an wie ein Rckblick. Stille am Ende, Videobild: eine Kamera blickt auf Schatten am Boden und hebt langsam ihr Auge zum Himmel.
Melanie Suchy, Rheinische Post Duesseldorf, 05.03.08.

Eine Totenmesse fr das 20. Jahrhundert
Premiere: Die Schweizer Gruppe Velma bringt ihre Version des Requiem auf die FFT-Bhne.
Wofr steht das flammende Rot im Requiem-Bhnenbild? Vielleicht ja fr die Hlle, die auf die armen Seelen wartet. Sie gehren zum Beeindruckendsten, was die europische Musikgeschichte hervorgebracht hat: Die berhmten Totenmessen von Mozart und Verdi. Wer das jeweilige Requiem einmal gehrt hat, vergisst es nicht so leicht wieder. Zu eindringlich, zu aufwhlend ist die Musik. Viele werden sie schon auf dem Sofa liegend genossen oder nach einem Live-Konzert noch stundenlang beim Italiener um die Ecke von ihr geschwrmt haben. Dabei ist der Text des Requiems eigentlich wenig geeignet fr faule Sonntagnachmittage oder Spaghetti vongole. Der Vatikan hat die Texte aus dem Liturgie-Programm genommen. Tag des Zornes, jener Tag lst die Welt in Glut auf , heit es im lateinischen Hymnus Dies irae. Und: Wenn die berfhrten verflucht sind und den scharfen Flammen zugesprochen. Aber wer glaubt im 21. Jahrhundert schon noch an Hlle, Tod und Teufel? Der Vatikan selbst hat die dramatischen Passagen schon vor vielen Jahren aus dem normalen Liturgie-Programm genommen. Dafr setzt sie das Forum Freies Theater (FFT) in Dsseldorf nun auf den Spielplan.AmDonnerstagist im FFT Juta die Deutschlandpremiere von Requiem. Die Gruppe Velma hat zur Liturgie eine eigene Musik zwischen Punk und Minimal komponiert. Die ungewhnliche Auseinandersetzung der Schweizer mit dem Thema Tod bildet den Auftakt zur Reihe Strategien der berschreitung. Diese will laut Ankndigung nicht weniger, als neue knstlerische Anstze bieten in einer Welt, die von Skularisierung und zweckrationalisierter Reglementierung durchdrungen ist. Ein hoher Anspruch und FFT-Intendantin Kathrin Tiedemann legt noch einen drauf: Vielleicht ist Kunst der einzige Bereich, an dem man noch die Wahrheit sprechen kann. Doch was ist die Wahrheit? Man wolle, sagt Tiedemann nun bescheidener, keine groen Entwrfe anbieten, sondern fragen: Was haben wir in der ,Sackgasse des 20. Jahrhunderts verloren? Alte Denkmuster sollen berwunden, ber-schritten werden. Aber das Theater soll nicht auf der Welle der Spiritualitt segeln, verwahrt sich die Intendantin gegen Vergleiche mit der Literatur-Mode zwischen Papst-Schriften und Promi-Pilger-Bchern. Das Transzendente und Mythische spielt aber schon eine Rolle, nicht nur im Requiem. Im Oktober etwa kommt die Compagnie Scnes aus Lyon mit einer Medea-Interpretation.
Daniel Boss, Westdeutschezeitung, 5 marz 2008.

Das Ende ist trostlos. Man mchte sich nun strecken; man wrde auch gerne nochmals klatschen. Aber hnlich wie nach dem Konzert in der Kirche ist Applaus nicht statthaft. Nicht mehr statthaft, muss man sagen. Denn zehn Minuten zuvor schien das Stck schon einmal ausklingen zu wollen: Zur hellen, trstlichen Communio vereinten sich die Akteure am vorderen Bhnenrand, um sich von uns, dem Publikum im Theaterhaus Gessnerallee, feiern zu lassen. Obwohl unsere unsicheren Hnde bloss ein drftiges Prasseln verursachten, intonierten sie als vermeintliche Zugabe einen vershnlichen Song und trllerten in Jesus-People-Naivitt gegen jene Nekrophilie an, die sie durch ihr vorheriges Tun selber verantworteten. Doch welch vergeblicher Optimismus! Das Requiem nmlich lief noch gnadenlos auf einen finalen Hymnus hinaus, der einem durch apokalyptischen Lrm jeden Anflug von Hoffnung von der Seele fegte.
Am Ende also Tod und Klte. Dann aber geht doch Licht an ber den Rngen. Und der Kopf lsst sich wieder vernehmen im Gemt: Ja, das Leben endet schrecklich traurig; nicht aber das Requiem von Velma, das uns verhext hat durch seinen musikalischen Sog, seine Strenge und seinen Witz. Das Lausanner Pop-Trio hat wiederholt seinen feinen Sinn fr eine an musikalische Formen angelehnte Theatralik bewiesen. In Rondo und spter auch in Velma Superstar etwa ging es Christian Garcia, Christophe Jacquet und Stphane Vecchione darum, ber die Struktur der Strophe oder des Loops auf den Rhythmus von Ritualen zu verweisen, in denen menschliche Individualitt und Expressivitt durch das Gesetz der Wiederholung pervertiert werden. In Requiem scheint der knstlerische Prozess gleichsam in entgegengesetzter Richtung verlaufen zu sein. Schon als Genre der Kirchenmusik steuert das Requiem den Gesang bei als sekundres Phnomen zum rituellen Geschehen der Totenmesse. Die drei Musiker von Velma nun suchten zu den liturgischen Vorgaben und lateinischen Mantras des Requiems nicht nur eine eigene Musik (zwischen Punk und Minimal), sie verlegten das Szenario berdies von der Kirche ins Tonstudio.
Das hat durchaus seine Logik: Das Tonstudio ist der Ort, wo Musiker ohne Publikum ihre innigsten Klnge sozusagen apathischen Mikrofonen verfttern. Wundervoll stillos ist die Landschaft ockerfarbener, schallschluckender Teppiche und beiger Wnde, in der alles der Aufnahmetechnik zu dienen hat bzw. knftigen Tondokumenten und nichts dem gelebten Moment. In diesem Kontext erweist sich Velmas Totenmesse als existenzialistisches Kammerspiel, das durch die kirchlichen Vorgaben hindurch immer wieder Ironie aufblitzen lsst.
Wenn der Bassist in die Saiten greift, ohne dass man ihn hrt (weil er den verstrkten Sound seines elektrischen Instruments nur ber seinen Kopfhrer ertnen lsst), mutet sein engagiertes Spiel absurd an. Grotesk wirkt auch der animalische Gesang des Sngers, weil die Punk-Instrumentalbegleitung nicht zu vernehmen ist. Eine mde Tnzerin, die sich zuletzt noch ganz alleine den vorgeschriebenen Gesten einer Choreografie unterwirft, wirkt ebenso verzweifelt wie jener Techniker, der teilnahmslos und unmotiviert Trennwnde herumtrgt. Als Schauplatz hoffnungsloser Entfremdung wirkt immer wieder auch der Kontrollraum, wo hinter dickem Glas das Handeln einer khlen Tontechnikerin undurchschaubaren Impulsen entspricht ihre Anweisungen, die verzerrt undeutlich durch einen Lautsprecher dringen, erwecken zum Schluss den Eindruck unverstndlich maschineller Kommandos. Dafr aber, dass sich solche episodische Bilder zu einer atmosphrisch berzeugenden Einheit fgen, sorgt Velma durch eine Musik, die dynamische Extreme ausreizt: vom reduzierten Chorgesang bis zu Gitarren-Soundwalls la My Bloody Valentine.
Ueli Bernays, NZZ, december 2007

Velma la bien compris, les annes septante sont mortes, entranant avec elles toutes leurs folles explorations acoustiques. La faute aux studios, ces limbes musicaux, tmoins dune frnsie cratrice nulle autre pareille, tel point que tout semble avoir dj t invent. Les disques peuvent en tmoigner. Les mes des artistes seraient-elles prisonnires des vinyles. [] Nul doute quavec le cachet morbide et latmosphre envotante de ce "Requiem", Velma sassure une place de choix au paradis.
Jonas Pulver, le Courrier, septembre 2007

Passionn de structure, le groupe cherche larchitecture harmonique sous la mlodie. Pour son nouveau spectacle, inspir par lՎvidente dclinaison offerte par la liturgie dun requiem, Velma a dabord mis en place un laboratoire musical avec la contrainte de respecter les paroles en latin, avant de songer un dispositif scnique. Il voquera la trace, la mmoire et la survie en relation avec lide de la mort induite par la titre "Requiem".
Corinne Jaquiry, 24 heures, septembre 2007